Veröffentlicht in: Decheniana (Bonn) 143, 390 (1990)



Oedipoda caerulescens (L.) auf einer Bergehalde nordöstlich von Aachen (Orthoptera, Saltatoria, Caelifera)

Ralf Rombach

(Manuskripteingang: 29. 6. 1989)

Die in Nordrhein-Westfalen stark gefährdete Oedipoda caerulescens (L.) (Brocksieper et al. 1986) nähert sich in diesem Bundesland der Nordgrenze ihrer Verbreitung. Während die Art im ponto-mediterranen Raum als nur schwach xero- und thermophil eingestuft wird (Franz 1933), zeigt sie mit zunehmenden atlantischem Klima eine stärkere Bindung an trocken-warme Standorte. In Mitteldeutschland ist die Art in Grasfluren sonnenexponierter Hänge anzutreffen (Brocksieper 1972), wohingegen sie im Siebengebirge auf Steinblockhalden mit lückiger Vegetation auftritt (Brocksieper 1972). Röber (1951) beschreibt die Standorte von Oedipoda caerulescens ebenfalls als vegetationsarm. Im Aachener Raum wurde sie zuletzt von Förster (1846) erwähnt. Jüngere Nachweise zum Beispiel von Kalkmagerrasen und den Schwermetallrasen im Stadtgebiet von Stolberg, die für die Art mikroklimatisch günstige Standorte darstellen, sind zur Zeit nicht bekannt.

1987 konnte auf der Bergehalde Anna 1, einem Abraumkörper der Steinkohlenzeche Anna im Gebiet der Stadt Alsdorf nordöstlich von Aachen eine Population von Oedipoda caerulescens (L.) ermittelt werden. Gegenüber den anderen Halden des Aachener Steinkohlenreviers, die nach Beendigung der Ablagerungen des Abraumes einer spontanen Sukzession in Richtung Waldgesellschaften unterlagen, zeichnet sich dieser Standort durch ein extrem xerothermes Mikroklima aus. Als Ursache kommt nur ein seit etwa 50 Jahren in der Halde schwelender Brand in Frage. Durch die brandbedingte hohe Bodentemperatur wird die Ansiedlung einer dichten Pflanzendecke verhindert. Der zentrale Haldenkörper wird im wesentlichen nur von sehr lückiger ruderaler Vegetation besiedelt.. Abgesehen von verschiedenen Poaceen treten größere Anteile von Hypericum auf. Neben diesem Faktor ist des weiteren das ganzjährig warme Mikroklima der Halde für das Vorkommen von O. caerulescens entscheidend, das u. a. im Winter eine Milderung des Frostes bewirkt.

Die Population wird sich langfristig kaum erhalten lassen, da die Tiere offensichtlich auf das durch die Brände verursachte Mikroklima angewiesen sind. Ein Begehen der Halde ist nur unter Lebensgefahr möglich, weil durch die Schwelbrände innerhalb Höhlen entstehen, in die man leicht einbrechen kann. Allein aus Gründen der Sicherheit ist sie vor unbefugtem Zutritt zu sichern.

Literatur:

Brocksieper, R. (1972): Faunistisch-ökologische Untersuchungen der Orthopteren (Blattoidea, Orthoperoidea, Dermapteroidea) der Naturschutzgebiete Siebengebirge und Rodderberg. - 42. S. - Diplomarbeit Bonn.

Brocksieper, R. (1978): Der Einfluß des Mikroklimas auf die Verbreitung der Laubheuschrecken, Grillen und Feldheuschrecken im Siebengebirge und auf dem Rodderberg bei Bonn (Orthoptera: Saltatoria). - Decheniana-Beihefte (Bonn) 21, 1-141.

Brocksieper, R.; Harz, K.; Ingrisch, S.; Weitzel, M. & Zettelmeyer, W. (1986): Rote Liste der in Nordrhein-Westfalen gefährdeten Geradflügler (Orthoptera). - In: Landesanstalt für Ökologie, Landschaftsentwicklung und Forstplanung NW (Hrsg.): Rote Liste der in Nordrhein-Westfalen gefährdeten Pflanzen und Tiere, 2. Fassung. - Schriftr. Landesanst. Ökol. Landschaftsentw. Forstpl. NW 4, 57-63.

Förster, A. (1846): Zur Berichtigung der von Bartels in Mayen mitgeteilten entomologischen Notizen. - Verh. naturhist. Ver. preuß. Rheinl. Westf. (Bonn) 3, 57-63.

Franz, H. (1933): Auswirkungen des Mikroklimas auf die Verbreitung mitteleuropäischer xerophiler Orthopteren. - Zoogeographica 1, 549-565.

Röber, H. (1951): Die Dermapteren und Orthopteren Westfalens in ökologischer Betrachtung. - Abh. Landesmus. Naturkde. Münster i. Westf. 14(1), 1-60.