Veröffentlicht in: Decheniana (Bonn) 148, 118-119 (1995)
Erstnachweis der Zikade Jassargus obtusivalvis (Kirschbaum, 1869)
(Homoptera, Auchenorrhyncha, Cicadellidae) für Nordrhein-Westfalen
(Nordeifel, Kreis Euskirchen)
Ralf Rombach
(Manuskripteingang: 15. Juli 1994)
Im Rahmen eines Forschungsvorhabens des Landes Nordrhein-Westfalen zur Erforschung der
Auswirkungen von Schafbeweidung auf Flora und Fauna von Kalkmagerrasen (Enzian-Schillergras-Rasen - Gentiano-Koelerietum) wurden in den Jahren 1990 und 1991
entomofaunistische Untersuchungen an verschiedenen Insektengruppen des NSG Eschweiler
Tal und Kalkkuppen bei Bad Münstereifel durchgeführt (Schumacher et al. im Druck). Eine
der berücksichtigten Gruppen waren die Zikaden (Homoptera, Auchenorrhyncha), da sie als
Primärkonsumenten hinsichtlich Abundanzen, Artenspektrum und ökologischer Einnischung
auch für die Bioindikation von größerer Bedeutung sind (vgl. Müller 1978, Hildebrandt
1990).
Bei der Bestimmung des Materials wurde für die Probeflächen Wachendorfer Berg in der Nähe
des Dorfes Eschweiler die Art Jassargus obtusivalvis (Kirschbaum, 1869) für das
Untersuchungsjahr 1991 nachgewiesen. Dieser Fund stellt den Erstnachweis für Nordrhein-Westfalen dar. Zwischenzeitlich liegen weitere, jedoch bisher nur vereinzelte Belege für den
westlich benachbarten Kuttenberg und für das etwa 13 km weiter nordwestlich gelegene NSG
Bürvenicher Berg bei Mechernich-Berg vor.
Jassargus obtusivalvis ist nach bisherigem Kenntnisstand eine im südlichen Zentraleuropa
vorkommende Art. Schulz (1976) gibt das Verbreitungsgebiet ausgehend von Südrußland
entlang des Nordrandes der europäischen Mittelgebirge (Riesengebirge, Erzgebirge, Kyffhäuser)
bis in den Süden Frankreichs und den Norden der Iberischen Halbinsel an. In den warmen
Tälern der Nordostalpen (Wagner & Franz 1961) sowie im Wiener Becken hat Jassargus
obtusivalvis einen Verbreitungsschwerpunkt. In Deutschland findet sie sich neben den schon
genannten Gebieten des weiteren im Hessischen Bergland, Nahetal, Oberrheintal und im
Vorlande der Schwäbischen Alb (Schwoerbel 1966). Für das Rheinland sind bisher lediglich
Fundorte im Mainzer Sand, im Binger Wald (Wagner 1939) und am Bausenberg (Kreis
Ahrweiler) bekannt (Post-Plangg & Hoffmann 1982). Diese ausführliche Schilderung der
Verbreitung zeigt, daß die Nachweis für die NSG Eschweiler Tal und Kalkkuppen und
Bürvenicher Berg außerhalb des bisher bekannten Areals der Art liegen und derzeit die
nordwestliche Verbreitungsgrenze markieren. Aus den nunmehr bekannten Standorten in der
Eifel läßt sich der Schluß ziehen, daß Jassargus obtusivalvis im Bereich der wärmeren Lagen
des Mittelrheintales und des angrenzenden Rheinischen Schiefergebirges an einer Reihe
weiterer Standorte zu erwarten sein dürfte.
Die Mehrzahl der Autoren kennzeichnen Jassargus obtusivalvis als eine typische Art der
Trocken- bzw. Halbtrockenrasen (Müller 1978; Wagner & Franz 1961), die ein hohes
Wärmebedürfnis zu haben scheint (Schwoerbel 1966). In diesem Zusammenhang sind die
Arbeiten von Maillet (1959), Musil (1958, 1961) und Okali (1960) bemerkenswert, die für
Frankreich und die Slowakei Jassargus obtusivalvis in verschiedenen Biotoptypen
einschließlich feuchtwiesen und Auenwälder belegen. Damit ist die Art weniger an die Struktur
des Magerrasens als solchen gebunden, sondern vielmehr geht die Habitat-Anbindung mit
zunehmender nördlicher Verbreitung auf die mikroklimatische Gunst des jeweiligen Standortes
zurück. Insofern ist die Einstufung von Schiemenz (1969) als "stenotope Art der Trockenrasen"
nur für den engeren Bereich von Mitteleuropa gültig. Als Futterpflanzen meldet Wonn (1956)
Koeleria glauca, Stipa capillata und Bromus tectorum. Schulz (1976) fand sie bei Marburg auf
Poa compressa, auf der er die Art auch im Labor halten und Eiablagen beobachten konnte.
Jassargus obtusivalvis ist daher als eine an Gramineen oligophage Zikade einzustufen, als deren
Nahrungspflanzen in den Untersuchungsgebieten zumindest Bromus erectus, Koeleria
pyramidata und Koeleria macrantha angenommen werden dürften.
Bemerkenswerterweise liegt der Hauptschwerpunkt der Populationen in der Nordeifel auf nicht
mehr bewirtschafteten Enzian-Schillergras-Rasen. Auf dem Wachendorfer Berg (brachliegend)
konnten aus dem bisherigen Material über 130 Individuen der Art bestimmt werden. Für die
benachbarte Probefläche Kuttenberg (beweidet), die seit 1989 im Rahmen von
pflegemaßnahmen mit Schafen beweidet wird, konnten nur 2 Individuen aus einem vergleichbar
umfangreichen Material nachgewiesen werden. Für eine weitere benachbarte Probefläche
(Kuttenberg, gemäht), die seit Beginn der 80er Jahre in Biotoppflege (Mahd) ist, ließ sich
Jassargus obtusivalvis nicht beobachten. Ähnlich ist die Situation im NSG Bürvenicher Berg
bei Mechernich, für welches ebenfalls bisher nur 2 Individuen belegt werden konnten. Auch
dieser Magerrasen ist seit 1989 in Biotoppflege. Die Ursachen für diese diskontinuierliche
Verbreitung müssen z. Zt. spekulativ bleiben. Aus der Literatur lassen sich diesbezüglich keine
eindeutigen Hinweise entnehmen. Eine Auswertung der wenigen Literaturbeleg aus
Mitteleuropa (Müller, 1978, Schwoerbel 1966, Post-Plangg & Hoffmann 1982) legt
jedoch eine Bindung an das Strukturelement Brache nahe. Zumindest liegen nach eigenen
Beobachtungen größere Anteile der Untersuchungsgebiete der genannten Autoren brach.
Entsprechende Untersuchungen zur Klärung dieser Frage sind in Vorbereitung.
Literatur:
Hildebrandt, J. (1990): Phytophage Insekten als Indikatoren für die Bewertung von Landschaftseinheiten am Beispiel von Zikaden. - Natur u. Landschaft 65, 362-365.
Maillet, P. (1959): Essai sur l'ecologie des Jassides praticoles du Périgord noir. - Vie et Milieu 10, 117-134.
Müller, H. J. (1978): Strukturanalyse der Zikadenfauna (Homoptera, Auchenorrhyncha) einer Rasenkatena Thüringens (Leutratal bei Jena).- Zool. Jb. Syst. 105, 258-334.
Musil, M. (1958): Príspevek k poznání cikadofauna Slovenska I. Cikadofauna stepnich biotopu (Zikadenfauna der Steppenbiotope). - Biológie Bratislava 13, 419-427.
Musil, M. (1961): Príspevek k poznání cikadofauna Slovenska IV. (Zikadenfauna einiger Wiesen- und Weidenbiotope in der Slowakei). - Biol. Práce 7, 58-77.
Okáli, I. (1960): Homoptera Auchenorrhyncha einiger Biotope in der Umgebung von Bratislava. - Acta Fac. Rerum nat. comen. Bratislava, Zoologia 4-6-8, 353-363.
Post-Plangg, N. U. A. & H.-J. Hoffmann (1982): Ökologische Untersuchungen an der Zikadenfauna des Bausenbergs in der Eifel - mit besonderer Berücksichtigung der Trockenrasen, in: Hoffmann, H.-J. & H.-U. Thiele (Hrsg.): Neue Untersuchungen zur Tierwelt des Bausenbergs in der Eifel.- Decheniana-Beihefte (Bonn) 27, 184-240.
Schiemenz, H. (1969): Die Zikadenfauna mitteleuropäischer Trockenrasen (Homoptera, Auchenorrhyncha). Untersuchungen zu ihrer Phänologie, Ökologie, Bionomie und Chorologie.- Ent. Abh. Mus. Tierkde. Dresden 36, 201-280.
Schulz, K. (1976): Zur Kenntnis der Gattung Jassargus Zachvatkin (Homoptera Auchenorrhyncha).- Dissertation Marburg/Lahn.
Schumacher, W.; Fritz-Köhler, W.; Köhler, F.; Rombach, R. & Weidner, A. (Im Druck): Regenerierung brachgefallener Kalkmagerrasen durch Schafbeweidung und deren Auswirkungen auf Flora und Fauna. - Lehr- und Forschungsschwerpunkt "Umweltverträgliche und Standortgerechte Landwirtschaft" an der Landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Bonn. - Forschungsberichte.
Schwoerbel, W. (1966): Ökologie und Faunistik der Wanzen und Zikaden.- In: Der Spitzberg bei Tübingen.- Die Natur- und Landschaftsschutzgebiete Baden-Württembergs (Ludwigsburg) 3, 759-854.
Wagner, W. (1939): Die Zikaden des Mainzer Beckens. Zugleich eine Revision der Kirschbaumschen Arten aus der Umgebung von Wiesbaden.- Jb. nassau. Ver. Naturkde. 86, 77-212.
Wagner, W. & H. Franz (1961): Unterordnung Homoptera, Überfamilie Auchenorrhyncha (Zikaden).- Die Nordost-Alpen im Spiegel ihrer Landtierwelt 2, 74-158.- Innsbruck.
Wonn, L. (1956): Ökologische Studien über die Zikadenfauna der Mainzer Sande.- Jb. nassau. Ver. Naturkde. 92, 81-122.